Teilnehmer der Jugendwerkstatt Hemmoor (v.l.): Leon Schütze (Ökologie), Ben Borisch (Gesunde Ernährung) und Brian Tiedemann (Handwerk). Foto: Paritätischer Cuxhaven

Jugendberufshilfe und Jugendwerkstätten: Hilfe für junge Menschen ohne Schulabschluss

Fast 200 Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 15 und 25 Jahren waren 2023 im Landkreis Cuxhaven ohne Schulabschluss. Die meisten davon in der Stadt Cuxhaven, der Stadt Geestland, der Samtgemeinde Land Hadeln und in Hemmoor. Ein Teil von ihnen zählt zu den sogenannten erwerbsfähigen Leistungsberechtigten des Jobcenters Cuxhaven.

Neben individuellen Gründen können auch strukturelle Probleme, mangelnde Bildungschancen oder psychische bzw. gesundheitliche Probleme dazu führen, dass die als NEETs bezeichneten jungen Menschen den Einstieg in den Arbeitsmarkt verpassen. Diese werden zunehmend schlechter vom bestehenden Unterstützungs- und Eingliederungssystem erreicht. An diesem Punkt setzt die Arbeit der Jugendwerkstätten des Paritätischen Cuxhaven in Cuxhaven und Hemmoor als Aktivierungsprogramm für junge Menschen mit einem erhöhten sozialpädagogischen Förderbedarf ein. Hier erfahren die Jugendlichen über persönliche Stabilisierung und Steigerung der eigenen Motivation eine Unterstützung, ihre eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen erkennen zu lernen.

Die Nachfrage nach Unterstützung und Schulpflichterfüllungsplätzen ist so groß, dass die vorhandenen Jugendhilfeplätze doppelt belegt werden könnten. Dies betrifft nicht nur das Stadtgebiet – auch und gerade im Landkreis Cuxhaven besteht eine erhebliche Versorgungslücke für Kinder und Jugendliche im Bereich der schul-ersetzenden Maßnahmen: 2023 beispielsweise haben sechs junge Menschen ihre Schulpflicht in der Jugendwerkstatt Cuxhaven erfüllt – derzeit sind vier Plätze besetzt, ein weiterer ist angefragt. Die Corona-Pandemie hat zuvor die Situation zusätzlich verschärft: Psychische Erkrankungen bei Jugendlichen haben deutlich zugenommen, Tendenz steigend.

Auch in der Jugendwerkstatt Hemmoor ist seit etwa einem Jahr eine deutlich steigende Nachfrage für die Belegung mit Teilnehmenden außerhalb der Jobcenter-Förderung zu verzeichnen. Der dafür vorgesehene und durch den Landkreis Cuxhaven finanzierte Anteil liegt aktuell bei sechs von 24 Plätzen. „Uns erreichen nahezu wöchentlich Anfragen von Schulen, Jugendamt, Jugendhilfestationen sowie Einrichtungen der Jugendpflege und -hilfe“, berichtet der Leiter der Jugendwerkstatt Hemmoor, Thorsten König: „Obwohl wir flexibel reagiert und phasenweise bis zu zehn Teilnehmende aus diesem Sektor zeitgleich betreut haben, müssen wir leider immer wieder Anfragen ablehnen.“

Offenbar gelingt es den Jugendwerkstätten mit ihrem niederschwelligen und ressourcenorientierten Qualifizierungsangebot in besonderem Maße auf die spezifischen Bedarfe der jungen Teilnehmenden einzugehen und diesen mit einem breit gefächerten Angebot von Förderansätzen gerecht zu werden. „Auch schulmüde und schulverweigernde junge Menschen arbeiten in den Jugendwerkstätten gut und zuverlässig mit, lassen sich auf die Inhalte ein und erfahren dadurch oft erstmals wieder Erfolgserlebnisse und Anerkennung“, so Thorsten König.

Die Jugendsozialarbeit erfolgt individuell in unterschiedlichen Werkstattbereichen, z.B. „Gesunde Ernährung/ Hauswirtschaft“, „Holzwerkstatt mit Elektroabteilung“, „Sozialer Möbelhof mit Werberaum“, unter Anleitung ausgebildeter Fachkräfte – mit zusätzlicher individueller sozialpädagogischer Förderung durch pädagogische Fachkräfte. Vorrangige Aufgabe der Jugendwerkstätten war und ist es daher, den jungen Menschen dabei zu helfen, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln, Hürden abzubauen, moderne Angebote zu schaffen und aktiv auf junge Menschen zuzugehen.

„Wir bauen mit wirksamen Interventionen den Kontakt zu den Jugendlichen aus und unterstützen sie dabei, zukunftsfähig zu werden“, so Eva Heins, Leiterin der Jugendwerkstatt Cuxhaven. Die Jugendwerkstätten pflegen einen engen Austausch mit diversen Netzwerkpartnern, in Cuxhaven beispielsweise mit der für die Teilnehmenden zuständigen Jugendberufsagentur. Neben telefonischen und persönlichen Kontakten gibt es eine wöchentliche Sprechstunde mit anschließender ausführlicher gemeinsamer Fallbesprechung. Dabei geht es zum einen um Einzelfallbesprechungen, zum anderen um die Ausrichtung des Angebotes an den Bedürfnissen der betreuten jungen Menschen. „Auch hier in Cuxhaven müssen also Jugendliche direkt aktiviert und spätestens nach Schulabschluss dort abgeholt werden, wo sie sich alleingelassen fühlen, wenn sie keine Vorbilder, Unterstützung oder Zugang zu Ausbildung haben“, unterstreicht Eva Heins die Bedeutung der Arbeit.

Daraus entstand die Projektidee einer Werkstattschule, eine schul-ersetzende Maßnahme, die einen engen Praxisbezug und pädagogische Begleitung aufweist, im südlichen Landkreis als Zweigstelle der Jugendwerkstatt Cuxhaven. In Kooperation zwischen Landkreis und Paritätischem Cuxhaven soll dem Mangel an Unterstützungsmöglichkeiten für Jugendliche, die aus dem Regelsystem herauszufallen drohen – wegen Verhaltensschwierigkeiten suspendiert sind, von Suspendierung bedroht oder gar absent sind – begegnet werden. „Denn gerade auch letzteres Problem korreliert häufig mit Delinquenz und Kriminalität. Die Chancen beim Besuch der Werkstattschule sind zum einen die engere sozialpädagogische Betreuung mit dem Ziel, eine Tagesstruktur wiederaufzubauen. Zum anderen kann das Lernen selbst durch sehr praktische Annäherung wieder positiv besetzt werden“, meint Kai Uhlhorn, stellvertretender Geschäftsführer des Paritätischen Cuxhaven. Ermöglicht werde das durch intensive Betreuungs- und Beziehungsarbeit. Auch aufsuchende Sozialarbeit ist Teil der Jugendwerkstätten. Ein flexibel auf die Bedarfe abgestimmtes Lernangebot mit projektartig zugeschnittenen Inhalten eröffnet den Jugendlichen die Möglichkeit des Lernens mithilfe eines Praxisanleiters und einer Sozialpädagogin. Das Angebot soll im April, vorerst mit einem Anleiter und einem Werkstattbereich, in unmittelbarer Nähe zu den BBS Schiffdorf eingerichtet werden. Für den Standort spricht zum einen die gute Erreichbarkeit und zum anderen, dass die bestehenden Werkstätten und Räumlichkeiten, die für praktisches Lernen ideal zu nutzen sind, bereits vorhanden sind.

Statement von Kerstin Tack, Vorsitzende des Paritätischen Niedersachsen, zu den aktuellen EUROSTAT Zahlen zur Schulabbrecherquote Deutschlands:

“Dass Deutschland die vierthöchste Schulabbrecherquote in der EU hat, sollte uns alle wachrütteln. Die Zahlen bedrohen Integration und Wohlstand gleichermaßen. Dass 12,2 % der Kinder und Jugendlichen die Schule ohne Abschluss verlassen, hat eindeutige soziale Ursachen: Viele kommen aus migrantischen Familien, denen Kompetenzen fehlen, um ihre Kinder schulisch angemessen unterstützen zu können. Viele kommen aus armen Haushalten, wo den Eltern aufgrund der wirtschaftlichen Not ebenfalls Ressourcen fehlen. Uns muss klar sein: Vielen Kindern und Jugendlichen werden so schon früh im Leben Chancen auf ein gutes Leben genommen und uns als Gesellschaft fehlen – und das ist angesichts unserer Demografie untragbar – wichtige Fachkräfte. Daher braucht es dringend mehr individuelle Unterstützung, für Kinder mit Unterstützungsbedarf in der Schule.”

    Paritätischer Cuxhaven

    Kirchenpauerstraße 1
    27472 Cuxhaven

    015202147105
    wehr2000@aol.com

    Über Uns

    Der Paritätische ist ein politisch und konfessionell ungebundener Spitzenverband der freien Wohlfahrtspflege, Dachverband für Mitgliedsorganisationen und Anbieter eigener sozialer Dienstleistungen. Die Aufgaben des Kreisverbandes Cuxhaven sind äußerst vielfältig und werden in der gesamten Stadt und im Landkreis Cuxhaven geleistet. Diverse Organisationen sind Mitglied des Paritätischen Cuxhaven.

    Alle Beiträge ansehen von Paritätischer Cuxhaven →

    Schreibe einen Kommentar