Cuxhaven. Er war ganz unten. Obdachlos, straffällig, arbeitslos. Ulrich W. hatte alles verzockt, sich immer neues Geld für seine Sucht gestohlen. Aggressiv, gereizt und wütend ging es nur noch um Suchtbefriedigung. Am Ende wollte er nicht mehr leben. Heute möchte der 62-Jährige andere dabei unterstützen, mit der Spielsucht aufzuhören.
Dazu hat der gebürtige Hamburger die neue Selbsthilfegruppe Anonyme Spieler (GA) in Cuxhaven gegründet, in der alle willkommen sind, die den aufrichtigen Wunsch haben, ihre Sucht in den Griff zu bekommen – egal ob es sich um Glücksspiel, Automaten, Sportwetten, Aktienspekulation, Roulette oder PC/Online-Spiele handelt. Mitglieder stellen sich nur mit Vornamen vor und alles, was in der Gruppe gesprochen wird, bleibt vertraulich. Die Teilnahme ist kostenlos. Treffen finden immer montags von 19 bis 20 Uhr in den Räumen des Paritätischen in der Kirchenpauerstraße 1 statt.
Glücksspiele sind weit verbreitet. „Fast 30 Prozent der Bevölkerung in der Altersgruppe der 16- bis 70-Jährigen in Deutschland haben in den letzten 12 Monaten bei mindestens einem Glücksspiel um Geld gespielt. Insgesamt weisen etwa 1,3 Millionen Personen im Alter von 18 bis 70 Jahren eine glücksspielbezogene Störung auf (Glücksspiel-Survey 2021)“, schreibt das Bundesministerium für Gesundheit. Sie lasse sich als wiederholtes und anhaltendes Spielverhalten beschreiben, das trotz weitreichender negativer Konsequenzen wie Verarmung, gestörte soziale Beziehungen bis hin zur sozialen Isolation und Zerrüttung der persönlichen Verhältnisse aufrechterhalten wird.
Ulrich W. hat schon als Kind von seinem Vater Skat gelernt und in der Schule diverse Spiele um Geld ausprobiert. Als 16-jähriger Ungelernter spielte er das erste Mal am Automaten. Innerhalb von neun Jahren wurde daraus eine derart starke Sucht, dass er alles und vor allem sich selbst verlor, vom Gericht wegen seiner Straftaten verurteilt wurde, ins Gefängnis kam und sich zuletzt das Leben nehmen wollte. „Am Wendepunkt schrie etwas in mir: Ich will mein Leben zurück, hilf mir, hilf mir; ich weiß nicht, was das war, aber danach konnte ich mir helfen lassen“, erinnert er sich heute noch sichtlich aufgewühlt. 13 Wochen lang wurde Ulrich W. in der Asklepios Klinik Ochsenzoll in Hamburg betreut. Hier entstand der Kontakt zu verschiedenen Selbsthilfegruppen, die er im Anschluss weiter besuchte. Insbesondere die Anonymen Spieler (GA), die nach dem Prinzip der Anonymen Alkoholiker der zwölf Schritte vorgeht, gab ihm Halt. Das sind unter anderem das unbedingte Eingeständnis der Sucht, Abstinenz, Aufarbeitung, Wiedergutmachung sowie der Dienst für andere.
Viele Jahre und einige Rückschläge später ist Ulrich W. heute glücklich verheiratet, arbeitet und baut gerade ein eigenes Haus. Dass der bloße Verzicht aufs Spielen nicht die Lösung ist, sondern regelmäßige Besuche der Selbsthilfegruppe, neue Kontakte, Therapien und das Annehmen von Hilfe etwa bei Suchtverlagerungen erfordert, weiß der zweifache Vater nur zu gut. Nun will er anderen helfen. Weitere Informationen gibt es bei Sabine Tscharntke von der Selbsthilfekontaktstelle des Paritätischen Cuxhaven, Tel. 04721/579332.
Die Anonymen Spieler (GA) sind eine Gemeinschaft von Frauen und Männern, die ihre Erfahrung, Kraft und Hoffnung miteinander teilen, um ihr gemeinsames Problem zu lösen und anderen süchtigen Spielern bei ihrer Genesung zu unterstützen. Jeder einzelne hat irgendwann einmal geglaubt, er wäre in der Lage, die Kontrolle zurückzugewinnen. „Aber auf diese meist sehr kurzen Phasen folgte unausweichlich noch mehr Kontrollverlust, der allmählich zum körperlichen und seelischen Verfall führte. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir an einer fortschreitenden Krankheit leiden. Im Laufe der Zeit verschlimmert sich diese; solange wir spielen, geht es uns stets schlechter, niemals besser. Steht jemand erst einmal unter diesem Spielzwang, verliert er drei grundlegende Dinge: Zeit, Geld und sein Wertgefühl. Zeit und Geld sind verspielt – unwiederbringlich -, das Wertgefühl aber lässt sich wieder herstellen“, heißt es auf der Website www.anonyme-spieler.org.